Das Mühlchen

Das Mühlchen

Dezember 15, 2019 Aus Von mfsimba
Das_Muehlchen

Erinnerungen an vergangene Zeiten

von Heinrich R. Geil

Wer von Eibelshausen herkommend auf Simmersbach zuwanderte, der sah sie dort unten im Wiesengrund, an der am weitesten vorspringenden Waldecke des „Hohen Rain“ (Flurname) liegen.

Die alte kleine Mühle, im Fachwerkstil erbaut, mit ihrer roten Rückwand, die in Ermangelung des ursprünglichen Baumaterials Holz und Lehm stattdessen in Ziegelmauerwerk erneuert worden war und dadurch dem kleinen Gebäude ein etwas fremdartiges Aussehen gab. Von weitem sah man dem „Mühlchen“, wie es im Volksmund genannt wurde, sein Alter nicht an, war es doch im Jahre 1654, also kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, erbaut und hatte seitdem manchen Sturm erlebt.

Über die Jahre hinweg hatte es immerzu seiner Betreibern zur Zufriedenheit gedient. Man muß wissen, daß es sich dabei nicht um das Eigentumsrecht eines einzelnen Müllers handelte, sondern die Mühle wurde von einer gewissen Anzahl von Mühlengenossen betrieben. Diese hatten sowohl für die Erhaltung der Bausubstanz als auch der Mühleneinrichtung zu sorgen. Von meiner frühesten Kindheit an hatte ich Zugang zur Mühle, da mein Vater und auch schon mein Großvater Mitteilhaber innerhalb der Mühlengenossenschaft waren. Zurückblickend auf jene Kinderzeit, sehe ich mich noch heute durch die kleine Türe eintreten, durch die ein erwachsener Mann nur gebückt hindurchgehen konnte. Man stand dann schon unmittelbar vor dem runden Mahlwerk mit dem aufgesetzten Holztrichter, in welchem das Getreide eingefüllt wurde.

Der Antrieb der Mühle erfolgte über das seitlich angebrachte Mühlrad, das sicher in früheren Zeiten aus Holz gefertigt war, aber später dann irgendwann durch ein Eisenrad ersetzt wurde. Die Welle des Rades ging in den Unterbau der Mühle hinein. Verbunden damit waren die Zahnräder, früher „Kammräder“ genannt. Über diesen Zahnradmechanismus wurde die vertikale Umdrehung des Mühlrades in eine horizontale Drehung des Mahlwerkes umgewandelt. Sollte die Mühle in Betrieb gesetzt werden, so mußte zunächst der im höheren Mühlteich befindliche Pfropfen, Ponte genannt, herausgezogen werden, so daß das Wasser durch Rohre und Rinnen vom Mühlteich auf das Mühlrad gelangen konnte. Das Mühlrad wurde im Inneren der Mühle mittels einer Schraubspindel gelöst und konnte sich dann drehen. Nach Beendigung des Mahlvorganges wurde das Mühlrad durch Anziehen der Spindel wieder zum Stehen gebracht.

Das eigentliche Mahlwerk bestand aus den beiden übereinanderliegenden Mühlsteinen, von denen sich jedoch nur einer drehte, während der andere fest stand. Das Mahlgut wurde über den aufgesetzten Holztrichter zwischen den feststehenden und den drehenden Mühlstein geführt. Der Zulauf wurde mengenmäßig durch einen einfachen Holzhaspel geregelt. Durch die Langzeitbeanspruchung nutzten sich die in die Mühlsteine eingeschlagenen Rillen ab und mußten von Zeit zu Zeit von den Mühlengenossen in Gemeinschaftsarbeit mit speziellen Hämmern wieder nachgeschlagen werden. Man sagte: „Die Mühle wird wieder scharf gemacht“.

Im Untergeschoß der Mühle befand sich der verschließbare Mühlkasten. In diesem war aus feiner Seide bestehende Mehlbeutel befestigt, der durch einen Exzenter in schüttelnde Bewegung versetzt wurde. Dabei wurde das Mehl durch den Beutel gesiebt, während das verbleibende Mahlgut als Schrot in den Kleiekasten geleitet wurde. Nach dem Abstellen der Mühle kehrte eine überwältigende Ruhe in dem Gebäude ein.

Noch heute höre ich das klappernde Geräusch und spüre noch das Vibrieren des ganzen Mühlchens. Oft hat mich das Mühlengeräusch abends in den Schlaf getrieben, wenn ich mich mit meinem Vater in der Mühle befand.

Im einzigen Aufenthaltsraum des Mühlchens befand sich ein schlichtes Holzbett mit Stroheinlage. Daneben waren ein Ofen, ein damals gewiß schon einhundert Jahre alter Holzlehnstuhl und ein an der Wand befestigter Klapptisch vorhanden. In dem Klapptisch war ein Mühlenspiel eingeschnitten, und so konnten wir manchmal die Zeit mit Spielen vertreiben.

Für Getreide und Mahlgut waren schwere Holzkästen an der Wand aufgestellt.

Meine Aufgabe war es auch, zuweilen meinem Vater bei seiner Tätigkeit mit einer Grubenlampe, einem Karbidlicht, zu leuchten. So lernte ich schon frühzeitig mit offenen Licht und Feuer umzugehen.

Die Benutzung des Mühlchens entbehrte nicht einer gewissen Romantik, die ich in meiner Kindheit so empfunden und miterlebt habe und von der mir auch in meinem ganzen Leben eine gute Erinnerung geblieben ist.

Die Mühle fiel nach dem zweiten Weltkrieg dem Vandalismus einer Horde jugendlicher aus der Nachbargemeinde zum Opfer, die sowohl das Gebäude als auch die Inneneinrichtung zerstörten. Dieser Verlust hat mich dazu bewogen, folgende Verse zu schreiben:


Im Talesgrund, wo Wald und grüne Wiesen
In stiller Freundschaft reichen sich die Hand,
wo kleine Bächlein leise murmelnd fließen,
einst eine alte kleine Mühle stand.

Wie oft hab spielend ich als Kind verweilet
am Mühlenrad, das hurtig sich konnt‘ drehn
Dem kleinen Bächlein, das so flink enteilet
hab‘ tausendmal ich träumend nachgesehen.

Wie herrlich war’s, wenn aus dem nahen Walde,
ein scheues Rehlein äsend trat hervor
dazu der Vöglein Abendlied erschallte
und Heimatglocken tönten an mein Ohr.

Wer einmal nur dort unten hat gesessen
An jenem märchenhaft verträumten Ort,
der kann die kleine Mühle nicht vergessen
denkt an sie gern zu allen Zeiten fort.

Die kleine Mühle, wie gern möchte‘ ich lauschen
Dem Räderspiele, dem Wasserrauschen,
hört‘ ich noch einmal dein trautes Klipp-Klapp,
das so manch glückliche Stunde mir gab;
denk‘ ich heut‘ dein, wird gar traurig mein Sinn,
mit dir ging ein Stück meiner Heimat dahin.


Heinrich Robert Geil, war bis zur Gebietsreform 1974, lange Jahre Bürgermeister in Simmersbach und schrieb in Erinnerung an seine Jugendzeit die Geschichte über das Simmersbacher Mühlchen.


Quelle: Erinnerungen an vergangene Tage, heimische Senioren schreiben Geschichten / Autor: Heinrich Robert Geil