Der Dorfjäger
Es war eine mondlose Nacht, als Joe, ein einsamer und geistig zerrütteter Jäger, sich in den tiefen Wäldern niederließ, getrieben von seinem blutigen Hobby, völlig alleine in seiner eigenen Welt.
Die Dorfbewohner flüsterten, dass er den Verstand verloren habe. Er wurde mit der Zeit immer merkwürdiger. Nächtelang verschwand er spurlos und kehrte morgens mit blutigen Händen und leerem Blick zurück. Niemand wagte es, ihn darauf anzusprechen. Sie munkelten, er jage nicht mehr nur Tiere. Joe war besessen von Waffen.
Es war genau 1 Uhr nachts, als er wieder im Wald war, das Gewehr fest in seinen Händen, der kalte Stahl schneidend in der klammen Luft. Die Dunkelheit war dicht, nur das schwache Rascheln von Blättern und das entfernte Heulen des Windes durchbrachen die Stille. Aber in Joe’s Kopf war es laut – Stimmen, die ihn drängten, zu schießen, zu jagen. Nicht aus Hunger, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus einem unerklärlichen Zwang heraus.
Seine Augen leuchteten fiebrig, als er plötzlich etwas im Dickicht erblickte. Ein Reh? Ein Fuchs? Oder war es etwas anderes? Sein Verstand spielte ihm Streiche, Formen verschwammen, Schatten tanzten vor seinen Augen. Er spannte den Abzug, sein Atem ging stoßweise, und ohne nachzudenken, schoss er. Der laute Knall des Gewehrs zerriss die Stille, und das Echo hallte um 1:06 Uhr durch den Wald. Doch anstatt den üblichen Schrei eines Tieres zu hören, hörte er nichts – nur die seltsame, beklemmende Stille der Nacht.
Joe blieb reglos stehen. In seinem Wahn glaubte er, die Tiere seien nicht mehr die gleichen. Sie lauerten, sie beobachteten ihn, und er musste schneller sein als sie. Sein Verstand zerbrach weiter, als er erneut schoss, diesmal in die Dunkelheit, ohne Ziel, ohne Plan – nur getrieben von den Dämonen, die in ihm hausten.
Als der Morgen graute, fand man ihn im Wald, das Gewehr immer noch in der Hand, umgeben von toten Tieren. Sein Gesicht war leer, die Augen weit aufgerissen, und doch schien er die Realität längst verlassen zu haben. Im Dorf sprach man später nie wieder über ihn.
Aber jede Nacht um 1 Uhr hörten sie noch immer das Gewehrschießen aus der Ferne, und sie wussten, dass Joe irgendwo da draußen war, gefangen in seiner eigenen Jagd.
Eine fiktive Geschichte
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