Wildunfälle in Mittelhessen
Wenn Jagdinteressen den gesunden Menschenverstand überholen
Auf mittelhessen.de wurde jüngst ein Artikel veröffentlicht, in dem Jäger und Polizei erklären, wie sie mit Duftzäunen, Reflektoren und Warnschildern die Zahl der Wildunfälle in Mittelhessen senken wollen. Klingt nach Fürsorge für die Natur, ist aber in Wahrheit ein Paradebeispiel dafür, wie man sich selbst zum Helden einer Geschichte macht, deren Ursachen man zum großen Teil selbst schreibt.
Wer ehrlich hinsieht, erkennt schnell: Nicht die Spaziergänger mit Hunden oder der Mountainbiker im Morgengrauen treiben Rehe panisch auf die Straße. Es sind die nächtlichen Jagden selbst, die Schüsse im Wald, das ständige Stören der natürlichen Rückzugsräume. Wer Tiere über Monate bejagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie sich unberechenbar verhalten. Wildtiere kennen keine Schonzeit, wenn überall Menschen mit Gewehr und Jagdtrieb unterwegs sind.
Dass Jäger ausgerechnet jetzt, mitten im Herbst, mit dem Finger auf „andere“ zeigen, ist bezeichnend. Jogger mit Stirnlampen als Hauptverursacher? Ernsthaft? Dabei sind es doch gerade die groß angelegten Drückjagden, bei denen Wild in Panik kilometerweit flüchtet und eben auch über Straßen. Der Appell „Fuß vom Gas“ wirkt da wie eine moralische Beruhigungspille, wenn man selbst Teil des Problems ist.
Hinzu kommt: Seit dem Bau der Zäune gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP) werden natürliche Wildwechsel massiv gestört oder ganz abgeschnitten. Tiere, die über Generationen hinweg feste Routen genutzt haben, stoßen plötzlich auf unüberwindbare Barrieren und werden auf wenige offene Stellen konzentriert. Genau dort steigt dann das Risiko von Kollisionen. Statt die Wege der Tiere zu verstehen und zu schützen, verengt man sie künstlich und wundert sich anschließend über steigende Unfallzahlen.
Und das Gerede vom „zu hohen Wiesenbewuchs“ an Straßenrändern – nett. Nur wurde genau dieser Bewuchs in den letzten Jahren aus Naturschutzgründen bewusst stehen gelassen, um Insekten, Vögeln und Kleintieren Lebensraum zu geben. Jetzt soll er wieder weggemäht werden, weil der Blick auf ein Reh angeblich zu spät kommt? Das ist Ökologie nach der Motorsense.
Die Statistik mit „28.000 Wildunfällen“ klingt beeindruckend, doch sie zeigt vor allem eines: das völlige Versagen eines Systems, das einerseits Tiere überpopulationieren lässt, weil sie als „Beute“ gelten, und andererseits bei Schäden die Schuld auf Autofahrer und Radler schiebt. Wer jedes Jahr Millionen Tiere „hegt und pflegt“, um sie dann zu schießen, kann schlecht den Moralapostel geben, wenn es mal kracht.
Ein wirklicher Ansatz wäre, Wildtierkorridore auszubauen, Querungshilfen an neuralgischen Punkten zu schaffen und Jagddruck zu verringern, statt Duftbäume an Leitpfosten zu hängen oder Zäune zu errichten, die die Tierwelt zerteilen. Doch das ist mühselig und bringt keine Trophäen.
Die Wahrheit ist unbequem: Solange die Jagd als Freizeitvergnügen und Machtsymbol betrieben wird, bleibt sie Teil des Problems, nicht der Lösung.
Disclaimer: Dieser Artikel stellt eine freie, durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar. Er dient der gesellschaftlichen Diskussion über den Umgang mit Wildtieren, Jagdpraktiken und Verkehrssicherheit. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt keine fachliche Beratung. Alle genannten Personen und Institutionen werden im Rahmen zulässiger Kritik erwähnt.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
