
Bockjagd ab dem 1. Mai
Ein archaisches Ritual unter dem Deckmantel des Naturschutzes!
Mit dem 1. Mai beginnt in Deutschland erneut die Bockjagd – ein Ereignis, das in jagdlichen Kreisen mit kaum verhohlener Vorfreude erwartet wird. Für viele klingt das romantisch: frühes Aufstehen, Pirschgänge im Morgengrauen, „Hege“ und „Wildpflege“. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt von dieser verklärten Erzählung nicht viel übrig – außer einer erschütternden Realität: dem legalisierten Töten fühlender, wehrloser Lebewesen in einer Zeit, in der Rücksicht geboten wäre.
Die Jagd auf Rehböcke fällt bewusst in eine Phase, in der das Ökosystem besonders empfindlich ist. Die Natur erwacht, das Wild hat kaum Deckung im noch lichten Wald, und viele Tiere stehen unter erhöhtem Stress. Böcke beginnen ihr Revier zu markieren, während Ricken sich auf die Geburt ihrer Kitze vorbereiten. Ausgerechnet jetzt wird der Wald zur tödlichen Kulisse. Der Schuss, der angeblich „notwendig“ ist, trifft oft ein Tier, das bis dahin völlig unauffällig und friedlich gelebt hat. Warum? Weil es ein Geweih trägt, das als Trophäe taugt. Es geht nicht um Naturschutz, sondern um Jagdleidenschaft, Machtdemonstration und die Illusion von Kontrolle über die Natur.
Die Argumente der Jägerschaft wirken vorgeschoben. Man redet von „Bestandregulierung“ und „Vermeidung von Wildschäden“, doch Rehe haben sich Jahrtausende ohne unsere Eingriffe angepasst. Die wahren Ursachen von Waldschäden liegen nicht bei ein paar Rehböcken, sondern bei einer industriellen Forstwirtschaft, die auf Monokulturen und Profit setzt – und dann überrascht ist, wenn die Natur darauf nicht so funktioniert, wie sie es gerne hätte. Statt das ökologische Gleichgewicht mit Jagdgewehr und Hochsitz zu „korrigieren“, wäre eine ehrliche Auseinandersetzung mit unserem Umgang mit Wald, Wild und Boden längst überfällig.
Die Bockjagd ist kein Naturschutz. Sie ist ein Überbleibsel einer jagdromantischen Ideologie, die sich selbst längst überlebt hat. In einer aufgeklärten, empathischen Gesellschaft sollte es keinen Platz mehr für das Töten zum Vergnügen geben – ganz gleich, wie traditionell es daherkommt.
Mirko Fuchs