Letzte Kriegstage 1945 in Simmersbach
Erinnerungen und Notizen aus den letzten Kriegstagen 1945
März 1945 stockdunkle Nacht. Welle auf Welle der feindlichen Bomber flog mit ihrer todbringenden Bombenlast ihrem Ziel entgegen. So war es fest jede Nacht. Sogar am hellen Tag sah man die großen Pulks über uns hinweg ziehen. In dieser Nacht war es so schlimm, daß wir uns im Bunker „im Biehl“ verkrochen hatten. Plötzlich zwei Feuaße am Himmel, ein Bomber wird von einem deutschen Nachtjäger direkt über dem Dorf in Brand geschossen. Als brennende Fackel stürzt er ca. 400m hinter dem Hessewald (Gemarkung Roth) ab. Fünf britische Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Dieses Flugzeug befand sich schon auf dem Heimflug.
2I. März 1945 wurde ein Flieger abgeschossen. Der Pilot rettete sich mit einem Fallschirm und wurde von den Amerikanern beschossen, man konnte es aus der Entfernung nicht so genau erkennen. Am Fliegerhang ging er herunter, er lebte noch, als Leute zu ihm kamen, starb aber kurz danach.
1945 Harry, ein französischer Kriegsgefangener, der bei „Grittches“ in der Landwirtschaft eingesetzt war, befand sich mit seinem Pferdefuhrwerk von Eibelshausen kommend in der, -Hohl“ (beim Eibelshäuser Sportplatz), als er plötzlich von Jabos (Jagdbomber) angegriffen wurde. Harry konnte sich in einem sogenannten Splittergraben, die an den Straßenseiten ausgehoben worden waren, retten. Seine beiden Pferde wurden bei dem Angriff getötet. Mit Tränen in den Augen, die Peitsche noch in der Hand, kam er zu Fuß in Simmersbach an.
Quelle Zeitung vom 21.Marz 1985
Tagebuchaufzeichnungen der letzten Kriegstage 1945 in Simmersbach von Erna Clemens (Raue)
Freitag, 23. März abends ersten Hafer gesät: Gladenbach und Weissenberg. Bei Tag konnte man sich nicht herauswagen wegen der großen Fliegergefahr. Als wir auf dem Gladenbach fertig waren, kamen Tiefflieger. Wir wollten noch schnell Schutz suchen, aber sie hatten uns gesehen. Paulinchen sprang in den Wassergraben und ich lag im Busch. So umkreisten sie uns 4 mal in (geschätzten) 10 m Höhe und schossen über uns hinweg. Dann griffen sie andere Ziele an. Wenn Gott nicht seine Hand über uns gehalten hätte, wären wir verloren gewesen.
Samstag, 24. März Abends Grauen Hain und Kürbisrücken gesät. Um 9 Uhr kamen wir zurück. Auf der Hauptstraße ist von abends spät bis morgens früh ein furchtbarer Autoverkehr: Militär und Flüchtlinge.
Sonntag, 25. März Der Autoverkehr geht weiter. Man kann nachts nicht schlafen. Die Front ist nicht mehr weit. Eibelshäuser Hütte von Fliegern beschossen.
Montag, 26. März Morgens um 1/2 5 Uhr Horfeld gesät. Nachmittags Seite und Habuch gesät. Wegen Tiefflieger konnten wir nicht weitermachen. Sie wollen die Flakstellung (auf dem Fliegerberg) angreifen, können es aber nicht. Sie schießen und werfen Bomben als wenn der „Jüngste Tag“ da wäre. Es wurde uns ganz unheimlich in unserem Ginster an der Grenze. In einem ruhigeren Augenblick schafften wir uns heim. Abends um 7 Uhr fahren wir zum Eggen.
Dienstag, 27. März Wir fuhren morgens um 4 Uhr zum Hafer säen auf den Hang. Ein unheimlicher Autoverkehr war in der Nacht. Auf dem Hang hörten wir die Artillerie ziemlich nah schießen. Man hatte einen Druck auf sich, der nicht weichen wollte. Als wir nach Hause kamen, gab es eine große Aufregung im Dorf. Die Amerikaner waren auf dem Westerwald durchgebrochen. Welch ein Schrecken. Man wußte nicht mehr, was man tun sollte. Dann kamen Autos, bespannte Wagen, Soldaten zu Fuß. Ach, ein müdes, abgekämpftes Heer. Der Schmerz schnürte uns die Kehle zu. Die meisten kamen ohne Gewehr, nur mit Stöcken. Wir haben sie noch erquickt, solange wir konnten. Sie waren alle so abgespannt und abgekämpft. Die Panzerspitze ist vorgestoßen bis Herbom und hat sich am Lazarett verschanzt. Mit Zittern und Zagen erwarten wir den Feind. Die Schuhfabrik in Eibelshausen verkauft sämtliche Schuhe, die sie auf Lager hat.
Mittwoch, 28. März Der Verkehr auf der Straße geht weiter und die Angst wacht mit uns auf Dauernd haben wir Soldatenbesuch. Die Arbeit hat keinen Stil (Sinn). Gegen Mittag wird es ruhiger. Ach, wie wurde uns so weh ums Herz, als wir die letzten Soldaten abrücken sahen und wir dem Feind überlassen waren. Es wurde Abend und wir dachten, sie würden unser Dörfchen vergessen, weil sie in Hirzenhain schon eingezogen waren (die Amerikaner). Wenn sich doch nur niemand zur Wehr setzen würde, war der geheime Wunsch, dann könnte es vielleicht noch gut gehen. Damit sprachen wir uns selbst wieder Mut zu.
Donnerstag, 29. März In der Nacht gab es zwei schwere Schläge. Man konnte sich nicht erklären, was es war. Als wir aufstanden, standen nochmal zwei deutsche Soldaten auf dem Hof. Auf unsere Frage, woher und wohin, gaben sie uns keine richtige Auskunft. Sie sahen aus wie Geister. Tagelang hatten sie nichts zu essen gehabt. Oben im Dorf hielten sie mit drei Geschützen. Sie hatten keine Zeit zum Essen, nahmen sich nur etwas mit. Wir hatten aber keine Ahnung, daß der Feind vor den Toren stand und deutsche Soldaten sich zum Kampf stellen wollten. Auf einmal tauchten überall Soldaten auf und jetzt wußten wir, was los war. Wie bangten wir um unser Dorf. Auf einmal rief es „von der Straße weg, in den Keller!“ Wir waren ganz kopflos. Paulinchen lief mit den Kindern zu Obermüllers, um näher beim (Luftschutz-) Bunker zu sein. Man konnte ja nicht wissen, was kam. Wir anderen gingen in Kretz Keller (Nachbarn) mit ein wenig Habseligkeiten. Ich ging noch einmal zurück, um etwas zu holen. Als ich auf den Weg kam, durchzuckte mich ein gewaltiger Schreck, das erste Geschütz der Amerikaner war da. Ach, wie ein unbeschreibliches Gefühl. Vier Mann an vier Maschinengewehren. Der erste Schuß geht hoch (in die Luft) Ich lief schnell zurück in den Keller. Wir saßen wie ein Häuflein Elend mit blutendem Herzen beisammen. Ach, die vielen vergeblichen Opfer. Jetzt geht das Schießen oben im Dorf los. Obermüllers Haus ist von amerikanischen Panzergeschossen ziemlich zerschossen. Noch etliche Häuser sind beschädigt. Der deutsche Widerstand läßt bald nach. Ein Amerikaner ist bei Wege gefallen durch einen Kopfschuß. Die Deutschen hatten keinen zu beklagen. Jetzt wagen sich ein paar beherzte Männer – Herrn Vater als erster – heraus. Dann gehen auch wir (nach draußen) zum Vorschein. Panzer an Panzer und Geschütz an Geschütz rollt heran. Alle stehen starr an ihren Geschützen, jeden Moment zum Schießen bereit. Ach, wie ein Unterschied zwischen Freund und Feind. Man kommt sich elender wie ein Wurm vor. Dann suchen sie nach Waffen und Soldaten. Eier und Uhren und andere guten Sachen gingen mit. In unserem Haus war keiner. (Ein amerik. Offizier teilte den Leuten mit, daß die Soldaten nicht befugt waren, den Dorfbewohnern ihr persönliches Hab und Gut zu nehmen – so etwa nach mündl. Inf. von Erna) Gegen Mittag wird es ruhiger. Ein Panzer ist oben im Dorf zurückgeblieben. Die Besatzung suchte die Wälder ab. Hier und da taucht wieder ein deutscher Soldat auf, der sich versteckt gehalten hatte. Am Nachmittag geht der Schrecken von neuem los. Von Eibelshausen bis Straßebersbach stehen deutsche Panzer zur Bekämpfung des amerikanischen Nachschubs. Wir trauten uns nicht, allein im Haus zu schlafen (besonders wegen der Lage an der Straße). Wir wandern mit Kind und Kegel nach Langhennasch. An Schlafen war ja nicht zu denken, denn die ganze Nacht beschoß sich die Artillerie. Gegen Morgen gab es ein furchtbares Geräusch. Die deutschen Panzer zogen sich zurück.
Karfreitag, 30.März Es ist Karfreitag, man weiß nicht, was man ist. Gar nicht festlich sieht es aus. Bei Kritisches ist noch ein deutscher Panzer in der Scheune. Die Besatzung hatte sich versteckt gehalten. Ein ganzer Trupp Soldaten läuft mit der weißen Fahne auf der Straße, um in Gefangenschaft zu gehen. Es ist aber kein Amerikaner da. Um 10 Uhr rollte der deutsche Panzer mit allen deutschen Soldaten, die noch im Dorf waren, davon. Welch ein erstickendes Gefühl, als hoch auf dem stolzen deutschen Panzer die weiße Fahne flatterte. Er wollte versuchen, über Roth zur deutschen Front zu kommen. Wahrscheinlich hat er’s noch geschafft, denn bis Roth war der glücklich gekommen. Er ist auch nicht mehr zurückgekommen als Gefangener. Den Gründonnerstag und Karfreitag soll uns (werden wir) nie vergessen. Ich muß an das Lied denken: „O Tag so schwarz und trübe wie düstere Mitternacht.“ Gegen Abend fuhr Wege Reinhard als Gefangener durchs Dorf.
Samstag, 31. März Ein furchtbarer Autoverkehr auf der Straße. Um 10 Uhr wurde Luwiggs Vater (Bürgermeister Heinrich Beck) begraben. Er wurde ohne Sang und Klang zum Friedhof getragen. Es war kein Pfarrer da. Herr Herzog (Schwiegervater von Pfr. Stiehl) sprach ein Gebet am Grab. Es waren nicht viele Leute mit. Auf dem Friedhof wurde uns angst und bange vor lauter Panzergetöse. Soweit man sieht, Panzer an Panzer. Gegen Abend wird es ruhiger. Um 1 Uhr (nachts) sind die Franzosen weg (fr. Gefangene, die im Dorf bei Familien untergebracht waren oder gearbeitet hatten). „Unser Karl“ (Charles) wollte lieber da bleiben. Dauernd sieht man auf der Straße Truppen von Ausländern, die heimwärts wollen.
Ostern, 1. April Wie im Traum aus weiter Ferne hört man das Posaunenblasen „Ostern, Ostern, Frühlingswehen, Ostern, Ostern Auferstehen“. Aber an Stelle des Posaunenklangs geht das Getöse wieder los.
Sonntag, 8. April Eine frohe Kunde zieht durchs Dorf: Sie rücken ab. Die ganze Straße hielt voll Autos mit Schwarzen. Ach, was sieht man doch für Bilder: Zum ersten Mal sehen wir Schwarze. Sie wollten die anderen holen. Heute war auch wieder einmal Gottesdienst. Die Kirche war überfüllt. Jetzt sucht manch einer Trost unter Gottes Wort. Nachmittags durften wir ins Haus. Jedes Eckchen war durchsucht und durcheinandergeworfen. Auf einmal heißt es: es sind schon wieder neue da. Aus einem Schrecken kommt man in den anderen. Jetzt wurde noch schnell einiges herausgeholt. Es war aber umsonst. Die Angemeldeten kamen nicht. Uns hatten sie ein Radio stehen lassen
Montag, 9. April Großes Reinemachen überall.
Dienstag, 10. April Preußenwiese Hafer gesät. Auf einmal fiel ein Schuß. Wir wußten nicht, was los war. Auf dem Heimweg war bei Schusters ein großer Auflauf. Die Amerikaner hatten Handgranaten gelegt und Iwels Hertha hatte sich beim Putzen durchs Bein geschossen. Es war aber nur eine Fleischwunde, ein Durchschuß.
Mittwoch, 11. April bis 21.April, keine besonderen Ereignisse
Sonntag, 22. April Zwei amerikanische Autos mit Insassen fuhren vor. Ein leiser Schreck führ uns schon in die Glieder. Als wir sie aber wenige Minuten später mit dem Bürgermeister gehen sahen, wurde uns warm und kalt. Sie machten Quartiere für 35 – 40 Mann. Diesmal mußten Wagners, Bergmanns, Scheuem und der Lehrer Friedrich räumen. Wie lange sie bleiben, weiß man nicht.
Montag, 23. April und Dienstag, nichts besonderes.
Mittwoch, 25. April Ohrems müssen auch noch räumen.
Donnerstag, 26 April Der helle Tag wird einem dunkel, vor lauter Motorradgebrumm. Unsere „Nachbarn“ haben sich alle möglichen Motorräder zusammengeholt. Man merkt, daß „Roosevelt“ zuviel Benzin hat. Glasners Mutter (Bertha Konrad geb. Fuchs aus Schreinersch) nach 3-stündiger Krankheit an Gehirnbluten gestorben.
Freitag, 27. April Die guten Schützen zielen (schießen) jeden Tag ein Reh.
Samstag, 28. April Glasners Mutter begraben.
Sonntag, 29. Mai und Montag, nichts besonderes
Dienstag, 1. Mai Der 1. Mai wird als Sonntag gefeiert. Die Einquartierung rückt ab. Hitler in Berlin gefallen. General Dönitz Nachfolger.
Donnerstag, 3. Mai Alle Männer von 16-60 Jahren müssen sich melden. Sie haben aber keinen mitgenommen. Berlin in russischen Händen.
5. Mai Bedingungslose Kapitulation
9. Mai Unterzeichnung, jetzt sind wir allem preisgegeben.
9. Juli Ochsenwiese gemäht. Es kommt die Nachricht, daß unser Pfarrer und Erich Reh (Sängers) gekommen sind aus Gefangenschaft. Erich Reh hat ein Bein verloren.
11. Juli Otto Ciliox gekommen von Italien
15. Juli Erster Gottesdienst durch Pfarrer Stiehl. Abends erste Singstunde vom gemischten Chor. Ein Kamerad vom Pfarrer hielt sie. Es war alles überfüllt, aber doch ganz schmerzliche Lücken. Ewald gekommen aus Italien.
21. Juli Kein Mensch darf aus dem Dorf. Man weiß nicht was los ist. Unterm Dorf und überm Dorf steht Wache. Sie haben unseren Pfarrer und Hans Clemens (Deißmanns) mitgenommen, weil sie noch keinen Registrierschein haben. Nach ein paar Stunden kommen sie wieder zurück.
22. Juli Hausdurchsuchung nach Waffen und verdächtigen Personen. Ohne Ausweis darf man nicht raus.
23. Juli Sperre ist aus. Man kann sich wieder frei bewegen. Erstes Korn abgemacht.
29. Juli Bäuerle nimmt Abschied vom Chor. Er will versuchen, über die Grenze zu kommen. Reinhard Klein übernimmt den Chor.
6. August Letzte Frucht abgemacht.
9. August Weyels Mann gekommen.
10. August Specks Willi gekommen, Jakobis Ewald und Eintrachts Adalbert gekommen.
17. August Felde Erna sein Mann gekommen.
20. August Oskar Hartmann gekommen
21. August Karl Clemens (Deißmanns)
23. August Hessels Emil gemeldet aus Rußland
25. August Wege Reinhard und Bach Herbert gekommen.
26. August Gustav Wagner (Onnerschmitzgenjusts) hat sich aus Italien gemeldet. Theo Fischer von Eiershausen hat einen Brief mitgebracht.
8. Aug. – 25. Aug. Regen
27.8. und 28. Aug. Letzte Frucht (Hafer) eingefahren.
28. August Erstes Grummet gemäht
29. August Oskar Theiß gekommen (Schlesserchorems)
30. August Otto Wagner gekommen
3. August Letztes Grummet gemäht
4. August Letztes Grummet heimgefahren
31. August Albert Wagner gekommen?
9. September Missionsfest. Heinrich Geil gekommen.
13. September Paul Wagner (Neuwagnersch) gekommen.
19. September Erste Kartoffeln ausgemacht.
24. September In der Scheune gedroschen.
Quelle: Erna Clemens (Raue)